Aus Klein Wanzleben berichtet Falk Heidel
Die Vereinschronik umfasst stattliche sieben Aktenordner: „Es ist immer wieder ein Vergnügen, darin zu blättern“, sagt Annette Koch. Liebevoll aufgelistet findet sie in all den Ordnern die Geschichte des Klein Wanzlebener Frauenchores. Weil die Vereinigung noch sehr jung ist, kann sich Annette Koch noch bestens an die Anfänge nach der Gründung im November 1990 erinnern: „Schulleiterin Waltraud Wenzig hatte 14 Lehrerinnen um sich versammelt. Damals haben wir regelmäßig am Nachmittag in der Schule gesungen.“ Die Chorleitung hat - selbstverständlich - die Musiklehrerin übernommen: 30 Jahre später hat Karin Mußmann diese Funktion nach wie vor inne. Im Gegensatz zu den Anfängen sind für sie im Laufe der Jahre weitere Aufgaben hinzugekommen. Doch dazu später mehr.
Kurz nach der Gründung kam mit Ute König die erste Nicht-Lehrerin hinzu. Die ersten Auftritte ließen nicht lange auf sich warten - die Chordamen waren (und sind) gefragt im Zuckerdorf und darüber hinaus. „Unser erstes offizielles Konzert hatten wir im Rahmen einer Weihnachtsfeier des Deutschen Roten Kreuzes“, erinnert sich Annette Koch. Das erste Plakat für eine Chorveranstaltung war handgemalt. Für das Frühlingssingen 1991 auf der Festwiese wählte Künstlerin Claudia Mattausch die Überschrift: „Wo man singt, da laß dich ruhig nieder.“ Auf dem Plakat ist verewigt, wer an diesem Nachmittag neben einer Tanzgruppe mitgewirkt hat: Frauenchor, Kirchenchor und Männerchor aus Klein Wanzleben. Heute sind alle drei Vereine zur „Chorgemeinschaft Liedertafel“ verschmolzen. Ein gemeinsame Chortracht gab es im ersten Jahr noch nicht. Karin Mußmann: „Jeder kleidete sich aus seinem Schrank mit weißer Bluse und schwarzem Rock.“ Eine spontane Aktion war der Einkauf der ersten Vereinsbekleidung 1991 beim Seefest in Seehausen.
Nach ihrem Auftritt schlenderten die Damen über den Festmarkt und stoppten an einem asiatischen Händler für Damenbekleidung: „Hier haben wir 20 weiße Blusen in verschiedenen Größen eingekauft“, erzählt Annette Koch. In den nächsten Jahren kam weitere Chorbekleidung hinzu Blazer, Tücher, Blusen… Ebenso wuchs der Chorhefter mit den einstudierten Titeln. 143 Musikstücke haben die Damen in den vergangenen 30 Jahren gelernt und gesungen. Nicht eingerechnet die 120 Weihnachtslieder. Chorleiterin Mußmann sagt: „Natürlich pflegen wir das traditionelle deutsche Liedgut, aber wir singen auch sehr gern moderne Stücke.“ Als Beispiele für Letzteres nennt sie Leonard Cohens „Hallelujah“ oder Gospelsongs wie „Heaven Is A Wonderful Place“. Mit ewig junger Musik breiten die Chordamen ihre Arme für junge Sängerinnen aus: „Wir freuen uns über jedes neue Mitglied“, sagt Annette Koch.
Die wenigsten Sängerinnen können Noten lesen. „Gelernt wird nach Papageien-Prinzip“, sagt Karin Mußmann, „vorsingen, nachsingen, wiederholen.“ Sie sagt auch: „Ich habe das große Glück, viele gute Sängerinnen in der Gruppe zu haben.“ Das Kompliment gibt Ute König sogleich zurück: „Wir haben das Glück, mit einer akribisch-engagierten und sehr dominanten Chorleiterin singen zu dürfen.“ Gesungen wird in der Regel dreistimmig, in Ausnahmen auch vierstimmig.
Einen markanten Punkt aus der Klein Wanzleber Chorgeschichte findet sich in der Chronik des Jahres 1995. Die musikalischen Damen fusionieren mit dem 1874 gegründeten Männerchor zur Chorgemeinschaft Liedertafel. Vorsitzende ist Annette Koch, ihr Stellvertreter ist Männerchor-Chef Christian Rau. Ein Jahr zuvor hatte Karin Mußmann auch die Chorleitung der Männer von Herbert Trieger übernommen. Von den einst 30 kräftigen Kehlen in den 80er Jahren sind derzeit nur noch zwölf übrig. Dennoch: „Wir treffen uns jeden Donnerstag um 19.30 Uhr zu den Proben und absolvieren jedes Jahr mehrere Auftritte, unter anderem an Weihnachten, zum Volkstrauertag oder beim Frühlingssingen“, erzählt Eckhard König, der sich natürlich gern an alte Zeiten erinnert: „Wir haben früher in der Dorfgaststätte gesungen - am lautesten auf dem Heimweg.“
Seit 2005 proben die Liedertafel-Mitglieder in ihrem Raum bei der Feuerwehr, den die Mitglieder mit Hilfe der Gemeinde seinerzeit umgebaut und hergerichtet hatten.
Zwei Jahre zuvor bekam die Liedertafel weiteren Zuwachs. Nachdem Organistin und Kirchenchor-Leiterin Traute Dwilles ihr Amt aufgeben musste, integrierte Karin Mußmann die Sängerinnen in den Frauenchor. Sie erzählt: „In diesem Zusammenhang haben wir auch die Termine des Kirchenchores übernommen.“ Seit dem sind Auftritte bei Trauungen, Konfirmationen oder Taufen hinzugekommen.“
Derzeit absolvieren die Sängerinnen jährlich etwa 20 Auftritte - einige wenige mit dem Männergesangverein zusammen. Allerdings hat Corona in diesem Jahr mehrere Termine platzen lassen. Bereits abgesagt ist die Festwoche zur 875-Jahrfeier von Klein Wanzleben. Darin integriert war laut Planung das Frauenchor-Konzert zum 30-jährigen Bestehen. Karin Mußmann: „Ich bin noch immer guter Hoffnung, das diese Veranstaltung stattfinden kann.“ Dann wollen die Chordamen gemeinsam mit dem Magdeburger Projektchor „carmina mundi“ musizieren. Zehn Liedertafel-Sängerinnen gehören auch dem Projektchor an. Ansonsten hat Chronistin Susanne Lux in ihren Aktenordnern dutzende Höhepunkte des Vereinslebens liebevoll zusammengestellt. Zum Beispiel die Auftritte beim ZDF-Chorwettbewerb in Köln: „Wir sind sogar eine Runde weitergekommen“, sagt Ute König. Zu den Erinnerungen in Wort und Bild gehören Auftritte beim Börde-Chortreffen, beim Landeserntedankfest in Magdeburg, Projekte mit Opernsängerin Eve Mencking-Sambale, ein spontanes Lied in der Dresdner Frauenkirche, ein Weihnachtssingen im Allee-Center und, und, und.
Weihnachten 2020 wollen die Chormitglieder im Leipziger Gewandhaus singen. Überhaupt sind die gemeinsamen Reisen ein Hauptbestandteil des Vereinslebens. Dazu gehörten in der Vergangenheit Ausflüge nach Naumburg, Dresden, Salzwedel, Wittenberg, Tangermünde oder Jerichow. Tradition ist dabei ein großes Picknick im Freien. Für die Sänger ist es selbstverständlich, dass runde Geburtstage gemeinsam gefeiert werden. „Solche Zusammenkünfte und Ausflüge stärken den Zusammenhalt, nicht zu vergessen die Freundschaften, die unter Mitgliedern verschiedener Chöre entstanden sind“, sagt Annette Koch. Und: „Solche sozialen Komponenten sind uns sehr wichtig.“
Von all diesen Dingen - und noch sehr viel mehr - erzählt die große Chronik aus sieben Aktenordnern.
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