Aus Schopsdorf berichtet Falk Heidel
350 Haushalte rund um Schopsdorf sind Teil einer technologischen Weltneuheit. Jahrzehntelang wurden sie von Energieversorger Avacon zum Heizen mit Erdgas beliefert. In Zeiten der Energiewende startet ein Pilotprojekt, dass diesem Erdgas bis zu 20 Prozent Wasserstoff beimischt - ohne dass die Verbraucher ihre Heizungsanlagen erneuern oder verändern müssen.
Einige Aggregate stehen umzäunt auf einem freien Feld - davor eine größere Betonpflasterfläche: Die Wasserstoff-Beimischanlage des Energieversorgers Avacon befindet sich unspektakulär am Schopsdorfer Ortsrand. Innerhalb der Umzäunung finden chemische Prozesse statt, die den weltweiten Energie-Mix nachhaltig verändern könnten. Am Freitag hatte Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) diese Anlage offiziell in Betrieb genommen: „Natürlich wollen wir dieses Thema auch europaweit vorantreiben“, sagte Schulze. Er blickt in diesem Zusammenhang auch auf „das Thema Energiesicherheit in Zeiten des Ausstiegs aus der Kohlegewinnung“.
Das Gemeinschaftsprojekt von Avacon und dem Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) soll zeigen, dass es technisch möglich ist, größere Mengen Wasserstoff in ein existierendes Gasnetz einzuspeisen. „Sachsen-Anhalt nimmt beim Thema Wasserstoff eine Vorreiterrolle ein, auf die wir sehr stolz sein können“, sagte Schulze. „Im Mitteldeutschen Chemiedreieck ist eine entsprechende Wasserstoff-Infrastruktur vorhanden. Den Aufbau einer CO2-freien Wasserstoffwirtschaft sehen wir als Chance für eine gute wirtschaftliche Entwicklung des Landes.“
Wasserstoff gilt als umweltfreundlicher Energieträger der Zukunft. Bei seiner Verbrennung entstehen weder Kohlendioxid noch Schwefeldioxid, nur Wasserdampf. In Schopsdorf wird der Wasserstoff im gasförmigen Zustand in Tanks angeliefert. Wasserstoff ist ein natürliches chemisches Element, das auf der Erde in nahezu unbegrenzten Mengen vorhanden ist.
In einem Teilnetz im Raum Fläming werden dem Erdgas in sechs Dörfern in der kommenden Heizperiode stufenweise bis zu 20 Prozent Wasserstoff zugefügt. Beteiligt sind Haushalte in Schopsdorf, Drewitz, Lübars, Dörnitz, Magdeburgerforth und Reesdorf. Deshalb waren auch einige Bürgermeister aus den beteiligten Kommunen zur Einweihung eingeladen. Dazu gehören den Stadtchefs von Möckern und Genthin, Frank von Holly und Matthias Günther sowie Schopsdorfs Ortsvorsteher Nils Rosenthal und Stephan Dressler vom Landkreis.
"Wasserstoff wird eine wichtige Säule von Energiewende und Klimaschutz“, sagte Avacon-Technikvorstand Stephan Tenge. „Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Energieversorgung sehen wir großes Potential bei der Umstellung unserer Netze auf grüne Gase.“ Aus seiner Sicht geht es bei dem Projekt nicht nur um die Technik, „sondern auch um die Akzeptanz der Menschen in den angeschlossenen 350 Haushalten - alle angefragten Haushalte haben sich an das Projekt beteiligt.“
DVGW-Vorstandsvorsitzender Gerald Linke sagte: „Wir leben in einem Technologie-Land und brauchen deshalb auch den Wettbewerb der Technologien.“ Zur Standortwahl meinte er: „Wir haben für dieses Projekt extra keinen großen Industriestandort ausgewählt. Wir wollen die Ergebnisse des Experiments auf ganz Deutschland übertragen.“
Für die Avacon-Projektleiterin Angela Brandes gehörte es zu den besonderen Herausforderungen, diese Technologie-Neuheit auf private Heizungsanlagen anzupassen, die bis zu 30 Jahre alt sind: „Wir haben es mit einer großen Vielfalt an Heizungssystemen zu tun, die bis auf ganz wenige Ausnahmen für die Wasserstoff-Beimischung geeignet sind.“ Lediglich vier nicht geeignete Geräte wurden durch moderne, wasserstofftaugliche Neugeräte ersetzt.
Die Einspeisung von Wasserstoff ist über die zwei Heizperioden in diesem und im nächsten Winter in Stufen von 10, 15 und 20 Prozent Wasserstoffbeimischung geplant. Mit der Inbetriebnahme werden in der ersten Stufe zehn Prozent Wasserstoff über vier Wochen dem Erdgas beigemischt. Bei einigen Gasgeräten werden Stichproben-Messungen durchgeführt, um die Einspeisung wissenschaftlich zu begleiten. Eine weitere 20-Prozent-Einspeisephase folgt Angela Brandes zufolge in der Heizperiode 2022/23 über mehrere Wochen.
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